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Komorbidität von Sucht und Depression – Perspektiven aus der Selbsthilfe und persönliche Erfahrungen

 Am 08.07.2025 hielt ich als ehemaliger Betroffener und heutiger Leiter einer Selbsthilfegruppe für suchtkranke Menschen, einen eindrücklichen Vortrag zur Komorbidität von Suchterkrankung und Depression.

Ausgehend von eigenen Erfahrungen und zahlreichen Beobachtungen in der Selbsthilfe machte ich auf die strukturellen Herausforderungen aufmerksam, mit denen Betroffene im therapeutischen System konfrontiert sind.
Zentrale Aussagen des Vortrags:

Doppelte Last beim Einstieg in die Therapie: Viele Menschen beginnen eine Suchttherapie bereits unter der erheblichen Belastung einer gleichzeitig bestehenden psychischen Störung – häufig eine depressive Erkrankung. Dennoch wird in vielen Fällen die Depression zunächst nicht mitbehandelt, da eine Therapie unter aktivem Suchtmittelkonsum als nicht sinnvoll oder wirksam gilt.

Therapie häufig in zwei getrennten Phasen: In der Praxis bedeutet das, dass zuerst die Sucht behandelt und Abstinenz hergestellt werden muss, bevor eine Depression überhaupt diagnostiziert oder therapeutisch adressiert werden kann. Diese Trennung ist aus medizinischer Sicht nachvollziehbar, wird aber der Lebensrealität Betroffener oft nicht gerecht. Die psychische Verfassung beeinflusst maßgeblich die Motivation, die Stabilität und die Rückfallwahrscheinlichkeit.

Plädoyer für integrierte Ansätze: Ich appellierte eindringlich dafür, stärker integrative Therapieansätze zu fördern, bei denen Sucht und psychische Erkrankung nicht als zwei getrennte „Baustellen“ behandelt, sondern als miteinander verflochtene Dimensionen menschlichen Erlebens und Leidens verstanden werden.

Rolle der Selbsthilfe: Als Leiter einer Selbsthilfegruppe betonte ich, dass insbesondere in Peer-Kontexten oft ein ganzheitlicheres Verständnis der Problemlage besteht – weil die Betroffenen selbst nicht zwischen „Sucht“ und „Psyche“ unterscheiden, sondern ihr gesamtes Lebensgefühl thematisieren. Die Selbsthilfe kann daher eine Brücke sein, um das Denken über Behandlungslogiken hinaus zu erweitern.

Erkenntnisse aus der Diskussion: In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass viele aktuelle Strukturen in der Suchthilfe und Psychiatrie weiterhin auf eine Trennung von Zuständigkeiten und Angeboten setzen. Es besteht vielerorts der Wunsch nach besseren, multiprofessionellen und abgestimmten Behandlungssettings – doch der tatsächliche Wandel verläuft schleppend.

Erfreulich ist jedoch, dass auf politischer Ebene bereits erste Signale erkennbar sind, die eine organisatorische und konzeptionelle Zusammenführung von Sucht- und Psychiatrieangeboten wieder stärker in den Fokus nehmen. Eine Neuordnung der Zuständigkeiten, etwa in der kommunalen Versorgung oder auf Landesebene, könnte hier Impulse setzen.

Stefan Friedlein 

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